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Sanierungsfall Europa – EU um jeden Preis?

Jürgen Pfeiffer im Gespräch mit Prof. Günter Verheugen (SPD). Bei „Pfeiffer fragt“ zudem als „Special Guest“ anwesend: Dr. Stefanie Babst, Leiterin der strat. Planungsabteilung von NATO-Generalsekretär Rasmussen und damit ranghöchste Frau der NATO. Eine Video-Zusammenfassung.

Europa – Verlust unseres Wohlstandes ? Was ist Europa eigentlich wert ? Sollen wir raus aus dem EURO ? EU-Kommisar Günter Oettinger nennt Europa bereits einen „Sanierungsfall“.

Die allgemein spürbare Unsicherheit über die Zukunft des heutigen Europa der 28 und seiner Währung bietet den idealen Nährboden für Europaskeptiker, neuen Nationalismus und populistische Trittbrettfahrer. Wie verfahren ist die Situation wirklich?

Wer kann hierzu besser Auskunft geben, Insight-Views vermitteln und Prognosen stellen als Prof. Günter Verheugen, lange Jahre Vizepräsident der EU-Kommission, Kommissar für Industrie (2004 – 2010) und frühere Staatsminister im Auswärtigen Amt; ein Politik-Insider mit profundem Hintergrundwissen. 8 Ehrendoktorwürden nennt er sein Eigen.

Der Business Club Hamburg ist komplett ausgebucht, so spannend das Thema für die Teilnehmer aus Wirtschaft, der Politik und den Medien.

Wir erfahren auf leicht humorvolle Weise viele Hintergründe über die Ränkespiele, die sich in der Politik abspielen. Oskar Lafontaine drängte Rudolf Scharping dazu, Verteidigungsminister zu werden – was dieser wohl eigentlich gar nicht wollte – da Gerhard Schröder für diesen Posten Günter Verheugen vorgesehen hatte. Damit wurde er zum Schattenminister. Interessant: in seinem Wahlkreis Kulmbach bestand immer sehr enger Kontakt zu der Familie/dem Vater von Gutenberg. Als ältester Sohn war er – so die Tradition –  immer bei wichtigen Gesprächen dabei, hatte aber kein Rederecht. Bei den Wahlen in 2002 hatte der Freiherr aber keine Chance gegen Verheugen.

Lange war Verheugen in der FDP, unter Genscher mit 33 Jahren Bundesgeschäftsführer, dann aber verließ er die FDP in 1982, weil er eine andere Auffassung von politischer Moral hatte, als gegen Helmut Schmidt gewettert wurde, da es weder Parteitagsbeschluss noch einen Wählerauftrag gab, die Koalition zu verlassen. Weitere Stationen = 16 Jahre im Bundestag (1983 – 99), Bundesgeschäftsführer der SPD, der für Europa zuständige Staatsminister. Ab 1999 durch Kanzler Schröder als Kommissar nach Brüssel entsandt. Grund dessen wohl: Disharmonien mit Joschka Fischer (GRÜNE)

Klares Statement zum Heute der FDP, O-Ton.“ Wir brauchen in Deutschland eine fortschrittlich-liberale Partei; diese haben wir aber nicht.“ Und: Es würden neue, jüngere Liberale gebraucht, die sich durchsetzen können, wirkliche liberale Politik betreiben. Dies sei bei der heutigen FDP nicht der Fall.

Ein Grundsatz sei es für ihn, dass Politiker die Verantwortung für ein Projekt übernehmen müssen und sich Ziele in der Realisierung setzen. So habe er persönlich immer Politik verstanden.

EU-Erweiterung, Bürokratiemonster in Brüssel, ökonomische Krisen

Hier sei immer die Frage präsent, welche Länder man aufnehmen und /oder heraushalten wolle. Natürlich gibt es immer viele Baustellen wie aktuell die Euro-Krise, Krisen der Banken, der Realwirtschaft. Mit 0,3 % Wirtschaftswachstum habe man real sogar einen Wohlstandverlust. Es bestehe ein sehr grosser Reformbedarf der politischen Praxis in Brüssel.

Für Verheugen steht fest, dass die Überregulierung aus Brüssel weg muss und stattdessen man nur dort in den Bereichen und mit den Aufgaben befasst sein sollte, die europäisch sind und in Europa auch umgesetzt werden können. Brüssel – das sei die Herrschaft der Technokraten, ein Bürokratie-Monster! Klare Worte.

Europa

Eigentlich meint man, dass es viele verschiedene Traditionen und Kulturen in Europa gibt, die eigentlich nicht zueinander passen. Verheugen ist anderer Meinung. Nach dem Fall des eisernen Vorhanges 1989 war es geboten, vielen Staaten Osteuropas neue Wege hin zur Demokratie und Marktwirtschaft in die Zukunft – weg von Russland – zu ebnen.

Die Europäische Idee gehört allen !

Dafür mussten die Grundlagen und Voraussetzungen geschaffen werden und sich alle Länder dazu verpflichten, alle Bedingungen einzuhalten. Das war im Nachhinein – in der Umsetzung – „…strategisch nicht richtig, aber historisch notwendig und moralisch geboten“, so sein klares Bekenntnis. Und: man muss das alles, die Entwicklung auch mit dem Hintergrund zu begreifen verstehen, da diese Länder erst Opfer des Faschismus waren und dann des Stalinismus. Nicht zu große kulturelle Unterschiede? Nein, mitnichten, O-Ton: „lächerlich!“

Man hätte die Bevölkerung der EU fragen müssen, ob sie das will. Volksentscheide?

Geht das überhaupt, dass Menschen eines Landes über ein anderes entscheiden? Seine Antwort: Nein! Für Verheugen bedeutet die EU-Erweiterung eine neue Dimension der Wiedervereinigung eines ganzen Kontinentes. Und: viele Menschen glauben, dass es die EU-Erweiterung sei, die an allen Problemen Europas Schuld sei. Nein, gerade das würde überhaupt nicht stimmen, so Verheugen, aber diese leider viele Menschen so sehen. Es sei halt sehr schwer, Mentalitäten zu ändern und Vorurteile zu bekämpfen.

Gerechtigkeit für die Schmuddelkinder

Man muss allen neuen Mitgliedern die Chance geben, eine „demokratische Reife“ zu erlangen. Das war bei uns nicht anders. Und: Länder wie Rumänien, Bulgarien u.a. würden immer mit Korruption im Gleichklang genannt, dabei sei die Korruption in ihren verschiedenen Formen vor allem im „alten“ Europa (ohne Länder zu nennen !) sehr ausgeprägt.

Wütend sei er, Verheugen, über die sogenannten Fachleute, hoch-bezahlte Fachleute, die in vielen Prognosen und Berechnungen völlig falsch lagen/liegen und ihr Geld nicht wert sind/waren. Da hätten viele versagt. Und natürlich gab es auch seitens der Länder Lügen über die tatsächlichen Umstände, wie wir dies ja in Griechenland sehen.

Verheugen sieht die EU als „informelle Haftungsgemeinschaft“. Damit spricht er das Thema EUROBONDS an. Diese würden nach seiner Meinung kommen, aber die Staaten, die diese nutzen, um Kapital aufzunehmen, können dies nur mit Zustimmung der EU, sodass über Eurobonds Einfluss genommen werden kann. Kommt nach der Währungsunion die Fiskalunion ? Diese sieht er nicht, da Souveränitätsrechte der Staaten damit verletzt würden. In Ländern wie Frankreich würde dies niemals akzeptiert werden. Und: in Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht schon klar gestellt, dass es mit unserer Verfassung nicht in Einklang gebracht werden kann.

Brüssel… Europa… Welt…

Europa muss sich verständigen und auf einen Nenner in vielerlei Hinsicht kommen, um in der Welt als Global Player seine Position zu wahren und wahrgenommen zu werden. Indes: Die Bürokratie in Brüssel, diesen riesigen Apparat, den niemand mehr durchschaut und wo Bürokraten das Sagen haben (ca. 25.000 Beamte), gilt es zu begrenzen in seinen Aufgaben und Rechten.

NATO

Frau Dr.Babst, ranghöchste Frau in der NATO, spricht sich für eine engere Zusammenarbeit in  strategischen Fragen aus. Dazu zähle auch ein klarer Gestaltungswille in der Außenpolitik Europas. Wo ist Europa in den vielen Krisengebieten der Welt anzutreffen ?, so ihre Kritik. Es gäbe viel bedrucktes Papier, aber wenig Handlung und viel nationaler Egoismus in der EU.

Verheugen ergänzt, dass sich Europa klar als Global Player mit einer Stimme in dieser multipolaren Welt positionieren müsse, um mitsprechen zu können – da passen nationale Egoismen nicht mehr dazu. Damit sei auch klar, dass dies nur über eine gemeinsame Außen-und Entwicklungspolitik der EU, also auch eine gemeinsame Armee/Streitkräfte umgesetzt werden kann. Ergänzend Dr.Babst: „USA erwarten nicht nur Schecks und gute Worte“. Sie erwähnt Beispiele, die zeigen wie lächerlich z.T. die EU mit Fragen der Außenpolitik umginge. Lybien habe angefragt, ob die EU dabei behilflich sein könne, einen Sicherheitsapparat nach europäischem Muster (Polizei, Armee u.a.) aufzubauen. Die EU hat dafür 13 Mitarbeiter abgestellt (!?).

Mehr Europa?

Nein, kein „Mehr“ an Europa, sondern ein „besseres“ Europa müsse das Ziel sein. Dazu zählt für ihn der Abbau der Bürokratie in Brüssel, eine umfassende Optimierung des Systems und die Überarbeitung vieler Regeln & Gsetze, die er für unzulässig hält. Grundlegende Reformen seien die Basis für ein besseres Europa. Und: Europa ist wie auch die USA zu sehen – es gibt arme und es gibt reiche Staaten, die in einer Gemeinschaft zusammen gehören.

Deutschland

Es sei ein Irrglaube, dass Deutschland mit 30 % des EU-Haushaltes der Zahlmeister der EU sei. Denn: Deutschland habe durch den geschaffenen Binnenmarkt den größten Anteil und Nutzen aus der EU. Und: Europa hat auch kein Geldproblem, sondern ein Geataltungsproblem, das heißt, zu wenige gesamteuropäische Projekte und dessen gemeinsame Umsetzung. Daran fehle es vor allem, aber nicht am Geld.

 

EURO

Der Stabilitätspakt sei wie ein Gericht, wo der Angeklagte selbst über sein Urteil zu entscheiden hätte. Dieser sei, so Verheugen, eine Schönwetter-Veranstaltung. Wichtig ist die Unabhängigkeit der Bundesbank wie auch der EZB von der Politik.

Fazit: da hat ein von Grund auf tief überzeugter Europäer gesprochen, der die Probleme der EU klar benennt aber vor allem die Chancen sieht, die ein geeintes Europa in der Zukunftsgestaltung in dieser Welt besitzt und Lösungen aufzeigt.

Notiert von Sven Jösting

 

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